Drehbuch

Auszug aus dem Drechuch „Der Redakteur

Autor: He Chengwei

Mitarbeit an der Übersetzung: Chen Gu

1  AUSSEN. AUF DER TERRASSE EINES HOCHHAUSES – TAG 1

Musik (schwach): Komm, süßer Tod

Eine junge Frau steht auf der Terrasse eines Hochhauses. Sie hat ihre rote Mütze auf. Sie legt ihre Hände auf das Geländer, in der linken hält sie ihr Handy. Was sie jetzt sieht, ist nichts anderes als die grauen Wolken in der Ferne und die noch fernere Erde. Sie ruft jemanden an. (Die Musik wird stärker.)

Handy: (undeutliche Stimme) Dieser Anschluss ist … zurzeit … nicht erreichbar …

Sie legt nicht auf. Die Stimme aus dem Handy ist zwar nicht kontinuierlich, aber immer mal wieder zu hören. (Die Musik wird noch stärker, fängt an unharmonisch und fremdartig zu werden. Die Musik erreicht den Höhepunkt. Die Szenen tauchen rasch nacheinander auf und plötzlich bleibt die Musik hängen: Die Melodie geht nicht weiter, aber der Ton bleibt.)

Schnitt: Eine Zeile im Word-Dokument, die sofort gelöscht wird. Dann fängt ein anderer Satz an: „Sie springt hinab.“ (Musik bzw. Ton hören plötzlich auf.) Schnitt: Die obige Terrasse. Leerer Ausblick, graue Wolken in der Ferne. Auf dem Boden eine rote Mütze. Das Handy ist nicht zu sehen, aber man hört die Stimme: „Nicht erreichbar … nicht erreichbar …“.

2  INNEN. IN EINEM CAFÉ IN DER BIBLIOTHEK – NACHMITTAG 

Café in der Bibliothek, schummriges Licht, im Hintergrund  wird leise Musik auf einem Klavier gespielt. Auf dem Tisch steht eine normale Lampe, ein Laptop, zwei bis drei Bücher und die Papiere sind schlampig auf dem Tisch verteilt. Der Redakteur hält sein Handy vor den Computerbildschirm, klickt auf „Notizen“ und kreuzt die Notiz „Sie muss sterben“ an.

DER REDAKTEUR

(zu sich selbst) Erledigt, fertig.

Er legt sein Handy auf den Tisch und nimmt ein Schlückchen von seinem Kaffee. Er stellt die Tasse ab und streichelt zärtlich seine gut gekämmten Haare. Er hat einen Anzug an und trägt eine passende Krawatte. In seiner Brille spiegelt sich der Computerbildschirm.

Ihm gegenüber sitzt ein jüngerer Mann, der wie ein Student aussieht. Er trägt ein blaues Hemd, eine schwarze Hose und Leinenschuhe. Offensichtlich haben die beiden sorgsam über ihre Kleidung nachgedacht.

Der Redakteur sieht endlich auf.

DER AUTOR

Was halten Sie davon?

DER REDAKTEUR

(schaut nicht in seine Augen, schweigt)

DER AUTOR

(zaudernd) Sie stirbt. (Pause) Selbstmord.

DER REDAKTEUR

Gut. (rührt den Kaffee um) Sie muss auf jeden Fall sterben – (trinkt Kaffee) – wie wir vereinbart haben. (zu sich selbst) Als ich damals hier studiert habe, gab’s gar kein Café auf diesem Campus.

DER AUTOR

Naja, so haben wir es zwar vereinbart, aber…

DER REDAKTEUR

(schaut endlich in seine Augen) Keine Sorge. Die Zuschauer mögen sie sowieso nicht.

DER AUTOR
Sie ist aber eine echt wichtige Figur! (verlegen)

DER REDAKTEUR

Ja klar, natürlich.

DER AUTOR

(etwas lauter, aber ohne Selbstvertrauen) Aber es geht doch um Literatur!

DER REDAKTEUR

(Pause) Literatur braucht auch Leser. Sie diskutieren, sie schreiben, sie bezahlen für Zeitschriften. Nur der Leser ist Gott, nicht Sie, (trinkt Kaffee) oder ich. Es geht hier einfach nur um die Arbeit …