Inspiriert von Texten, Notizen und Nachrichten, die Uta Hörmeyer während ihres Aufenthaltes in Nanjing verfasste, ist ein Erfahrungsbericht im E-Mail-Format entstanden.
09. Oktober 2018, 17:12
Nanjing ist groß, sehr groß! Riesige Wolkenkratzer dominieren das Stadtbild – Berlin erscheint wie eine Puppenstadt.
Gerade schreibe ich aus der Unterkunft auf dem Uni-Campus in Gulou. Bei unserer Ankunft war es hier beinahe gespenstisch still, als hätte jemand den Ton abgedreht, nur das Hupen hat zwischendurch die Ruhe durchbrochen, denn hier flitzen vor allem E-Roller durch die Gegend. Eva und ich bekommen jedes Mal fast einen Herzinfarkt. Hoffentlich werden wir bald ein bisschen entspannter.
Das Handy funktioniert, da aber ständig Geld abgebucht wird, lasse ich es lieber im Flugmodus. Apropos Flug, heute Nacht konnte ich aus dem Klo-Fenster die Wüste von West-China sehen – das war mal ein guter Start in den Tag!
© Eva Schönle
12. Oktober 2018, 20:27
Ich glaube ich habe schon meinen Lieblingsort in Nanjing gefunden: den Xuanwu Park, mit Seerosen so groß wie Menschen und einer gigantischen gelben Ente auf dem See, aus der laut Musik dudelt und deren Kopf Wasserfontänen speit.
Seitdem ich hier bin, habe ich kein einziges Mal selber gekocht, denn ein Ort, den wir täglich aufsuchen ist das Gulou-Food-Center. (Wir sind so angetan, dass wir schon überlegen hier einen Kurzfilm zu drehen.) Über drei Stockwerke verteilt werden drei mal täglich ungefähr 300 verschiedene Gerichte zur Auswahl gestellt. Y. erzählte uns, dass dabei sämtliche kulinarische Gewohnheiten der chinesischen Küchen berücksichtigt werden. In der Stoßzeit bietet alleine die unterste Etage Platz für 400 Studierende. Um die Tische sind kleine Küchennischen hufeisenförmig angeordnet, in denen das Essen frisch zubereitet und serviert wird. Es sind sehr viele Leute im Einsatz! Mit der Mensa-Karte können wir sowohl hier das Essen bezahlen, als auch in den Supermärkten auf dem Campus einkaufen.
Überhaupt wird kaum mit Bargeld bezahlt, auch in Malls, Restaurants und Bars kommt mobiles Ali-Pay oder We-Pay zum Einsatz. Nur wir treiben mit Scheinen und Münzen arme Mitarbeiter*innen zum Wechselgeld organisieren in die umliegenden Läden (oder in den Wahnsinn). Eine Studentin meinte zuletzt: „Wie meine Eltern.“
Wir haben unser erstes Seminar gegeben, auf dem neuen Xianling Campus an der Stadtgrenze von Nanjing, ca. 1 Stunde vom Gulou-Campus entfernt. Dieser Campus ist noch größer, eine eigene Stadt, mit kolossaler Bibliothek, zahlreichen Mensen, Supermärkten, Wohnheimen, Sporthallen und einem eigenen Theater. Zum Verlaufen!
Leider können wir uns keines der Miet-Fahrräder ausleihen, die zu Tausenden in der Stadt verteilt stehen, denn auch dafür brauchen wir Ali-Pay oder We-Pay. Ohne ein chinesisches Konto kann man leider nicht mobil bezahlen. Wir wären allerdings schon zufrieden, wenn wir unseren We-Chat Account auf unserer chinesischen Sim-Karte freischalten könnten, denn sämtliche Organisation und Informationsverteilung erfolgt (mehr oder weniger ausschließlich) über dieses Medium. Ich befürchte, nur uns zuliebe werden noch Mails geschrieben.
© Eva Schönle
18. Oktober 2018, 21:50
Mein Bedürfnis nach sportlichem Ausgleich wurde gehört und M. hat uns zwischen den Seminaren in einen Anfängerkurs „Kung Fu Fan“ begleitet – ausgestattet mit einer Kamera. Vielleicht nicht ganz ohne Hintergedanken, schließlich steht in dieser Form der körperlichen Ertüchtigung „Fun“ nicht so sehr für Spaß und spielerisches Ausprobieren, sondern „Fan“ für Fächer. Kung Fu Fan also, ein chinesischer Martial Arts Gruppentanz, mit ausgefeilter Choreografie und einem – wie der Titel bereits verspricht, wenn er bei der Wikipedia-Suche richtig eingegeben wird – roten Fächer. In einer einzigen schnellen Bewegung und mit lautem Knall wird dieser Fächer anmutig auf- bzw. zugeschlagen während der Körper kunstvolle Drehungen, Schritte und Tritte vollführt, die beeindrucken. Beherrscht man keine dieser Disziplinen und ist mit einer gewissen Grobmotorik ausgestattet, trägt man zwar zur allgemeinen Unterhaltung, weniger doch zur kollektiven Symmetrie bei, auf die es bei einem solchen Gruppentanz ja gemeinhin ankommt. Mit anderen Worten: Wir sind völlig aus der Reihe gepurzelt und mit Tanzen hatte das Ganze bestimmt wenig zu tun. Um eine kleine Brise Würde beraubt verdrückten wir uns frühzeitig auf die Zuschauerbank. Ich weigere mich zu glauben, dass wir es mit Anfänger*innen zu tun hatten.
Ich bin mir nicht sicher, ob Eva mir verziehen hat, dass ich mein Interesse an einem sportlichen Ausgleich überhaupt erwähnte. Als wir beim Mittagessen in der Mensa einer Studentin vorgestellt wurden, begrüßte sie uns mit den Worten: „Ihr seid doch die Autorinnen aus Deutschland. Ich hab euch doch gerade auf We-Chat gesehen!“ We-Chat! Der Informationskanal, über den wir Hinter-dem-Mond-Lebenden leider noch immer nicht verfügen.
© Chen Min
30. Oktober 2018, 21:10
Leider habe ich heute meine erste Absage für mein Serienkonzept vom Sender erhalten. Wir lassen uns natürlich nicht unterkriegen und die Produktionsfirma versucht es weiterhin – ein kleiner Dämpfer war es trotzdem.
Gestern Abend sind Eva und ich von M. zum Essen eingeladen worden und unterhielten uns über die Beziehung zwischen Eltern und Kind in China, die in vielen Gesprächen, die wir führen, immer wieder Erwähnung findet. Kinder sollen beschützt, umsorgt und nach ihren individuellen Fähigkeiten gefördert werden, dafür sollen sie sich später um das Wohlergehen ihrer Eltern (oder Schwiegereltern) kümmern, wobei diese im Alter nicht selten zurück zu ihren Kindern ziehen. Wenn die Eltern arbeiten, übernehmen die Großeltern die Erziehung der Enkelkinder, so dass es selbst im Rentenalter keinen Ruhestand gibt. Diese Beziehungskonstellation ist prägend für das alltägliche Straßenbild von Nanjing.
Viele Menschen ziehen für ihren Job weit weg, in eine der großen, reichen Städte wie Shanghai, Nanjing, oder Hangzhou an die Ostküste oder nach Beijing in den Norden. Wer jedoch nicht in der Stadt geboren wurde, darf zwar zum Arbeiten her kommen, muss allerdings viel Geld für die Schule der Kinder bezahlen. Aus diesem Grund leben Familien oft getrennt und Kinder bleiben zurück bei den Großeltern auf dem Land.
M. hat uns von der enorm harten Konkurrenz an den Schulen und den Universitäten erzählt. Es ist auffällig, wie die Studierenden hier bis tief in die Nacht büffeln. Eltern arbeiten hart, um ihren Kindern eine Ausbildung an einer der angesehensten Universitäten des Landes zu ermöglichen, bezahlen Nachhilfe und fördern außerschulische Aktivitäten, die wiederum die Aufnahme an die Universität erleichtern sollen, denn eine gute Ausbildung gilt immer noch als Versprechen für ein besseres Leben. Kinder stehen unter dem ständigen Druck, den Hoffnungen und Erwartungen der Erwachsenen standzuhalten.
Den Lehrkräften an den Universitäten wird eine besondere Verantwortung zugewiesen. Es kommt vor, dass Studierende – oder häufiger noch die besorgten Eltern – bei schlechten Noten Beschwerde einlegen. Ein Aufgabenbereich, um den sich die Lehrkräfte ebenso kümmern sollen, wie um die komplette Administration ihres Instituts (kleinere Institute haben kein eigenes Sekretariat).
Häufig bleibt Kreatives Arbeiten als erstes auf der Strecke und wir wurden angehalten diesbezüglich nicht allzu große Erwartungen an die Studierenden zu haben. Allerdings war diese Sorge unbegründet und in wenigen Wochen entstanden tolle Kurzgeschichten, Drehbücher und Storyboards zum Thema „Arbeit“. Die Studierenden wollen in den kommenden Tagen zwei der Stoffe auch filmisch realisieren. Und an einem Fremdsprachencollege entschieden sich die Schülerinnen und Schüler passend zu Halloween für das Thema „Horror“ und entwickelten an einem Tag Szenen, die sie am Ende mit Feuereifer vor der Klasse aufführten.
Vielleicht hat es geholfen, dass wir keine Noten vergeben mussten. Vielleicht hat es geholfen, Monster ins Curriculum zu holen, statt immerzu den armen Goethe überzustrapazieren – wie dem auch sei: Vor allem hat es Spaß gemacht!
© Eva Schönle
04. November 2018, 12:43
Auf der Zugfahrt nach Beijing (über 1000km in 3,5 Stunden – selbst die Züge fliegen) haben wir D. kennengelernt, die sich seit einem Jahr für die Aufnahmeprüfung an der Universität Nanjing vorbereitet. Sie hat es geschafft, unseren We-Chat-Account zum Laufen zu bringen. Ich glaube, jetzt sind wir offiziell in China angekommen.
Auf einer Tagung haben wir über unser Seminar „Perspektiven auf Arbeit“ gesprochen und wurden gefragt, ob wir es auch an anderen Universitäten geben wollen. Plötzlich Dozentinnen … Allerdings ist es ein bisschen fraglich, was wir in unserem verbliebenem Monat noch alles schaffen, hinzu kommt, dass Eva und ich uns heimlich nach dem F-Wort (wahlweise mit Freizeit, Ferien oder Faulenzen zu ersetzen) sehnen. Irgendwie fällt es mir schwer, dem Bedürfnis nach Erholung nachzugehen, denn um uns herum ackern und büffeln alle weitaus mehr als wir. Berlin erscheint mir aus der Ferne wie ein großes Spa: an jeder Ecke Sauna-Landschaften, gemütliche Cafés und Liegestühle zum Ausruhen. Eine Phantasie, die mehr mit einer Sehnsucht nach Geborgenheit korrespondiert, als mit der Realität. Letzte Nacht habe ich davon geträumt, mich mitten auf dem Xuanwu-See in einem schwimmenden Nest an den flauschigen Hintern der gelben Riesen-Ente zu kuscheln…
© Uta Hörmeyer
08. November 2018, 23:13
Wir waren auf der Chinesischen Mauer wandern – wirklich wandern! Es ist total verrückt, wie viele tausend Stufen in allen erdenklichen Höhen, Steigungen und Schieflagen zu bezwingen sind. Zwischen Höhenängsten und einem Gefühl von Seekrankheit ein wirklich krasses Erlebnis! Wir haben die Verbotene Stadt besichtigt und in den Hutongs von Beijing Evas Geburtstag in einer Punk-Kneipe gefeiert. Eine wirklich gute Abwechslung bei all dem ollen Fleiß.
Apropos Fleiß: Endlich bin ich dazu gekommen, mehr über Konfuzius zu erfahren. Im zweitgrößten Konfuzius-Tempel Chinas (22000 Quadratmeter), der schon 1306 zur Verehrung des Philosophen und seiner Staatstheorie in Beijing erbaut wurde, gibt es eine Ausstellung über sein Leben und seinen Einfluss. In einer Einführung steht zum Beispiel: „Der Konfuzianismus wurde zur Mainstream-Ideologie in der traditionellen chinesischen Kultur (…). In Bezug auf die Bildung empfiehlt Konfuzius, >>Bildung für alle ohne Diskriminierung anzubieten<<.“
Konfuzius muss ein ziemlich strenger Lehrer gewesen sein. Er soll einen seiner Schüler kritisiert haben, als dieser tagsüber geschlafen hat. Der Schüler bat ihn um Urlaub, weil er es satt hatte zu lernen, doch Konfuzius ermahnte ihn nur, sein ganzes Leben lang weiter zu studieren. So ist Konfuzius eigenes Ende vielleicht nicht weiter verwunderlich: „Wegen seiner intensiven Lehrtätigkeit und der Archivierung alter Literatur war Konfuzius so beschäftigt, dass er Alter und schwindende Gesundheit vergaß und mit dreiundsiebzig Jahren starb.“
Direkt neben dem Tempel befindet sich die kaiserliche Akademie, älteste Universität Chinas, in der während der drei Dynastien Yuan, Ming und Qing, kaiserliche Berater ausgebildet wurden. Im Hof sind Inschriften von Namen von mehr als 50.000 Prüfungskandidaten zu lesen, die bei den kaiserlichen Prüfungen besonders gut abgeschnitten haben. Hier wird also den Absolventen und Gelehrten dieser frühen Talentschmiede gehuldigt. Neben dem Konfuzius-Tempel in Nanjing gibt es ein historisches Museum über die „kaiserliche Examensanstalt von China“ und die „Zeremonie zur Talentselektion“. Allein schon als Rechercheausflug für meinen Science Fiction möchte ich mir dieses System der Meritokratie gerne anschauen.
© Eva Schönle
© Eva Schönle
11. November 2018, 07:03
Nach Monaten der Bürokratie endlich KSK-Mitglied! Nachdem ich die Hiobsbotschaft über mein Bezwingen des Bürokratie-Riesen und die damit einhergehenden neuen Privilegien vernommen habe, fühle ich mich plötzlich krank. Wir sind die letzten Tage so viel durch Nanjing gelaufen, dass meine Füße angeschwollen sind und kein Schuh mehr passt. Jetzt watschle ich nur noch in Winterjacke und Badelatschen über den Campus.
Neuerdings leide ich auch noch unter Kopfschmerzen und Eva fürchtet, dass es sich bei ihrem Hautausschlag um eine Gürtelrose handelt … Zeit für eine Pause und die Geschichte, wie wir in den Besitz einer lotusförmigen Harmonie-Laterne gekommen sind und warum wir uns Medizin vom Mond-Häschen wünschen:
In der „Former Residence of Gan Xi“, auch bekannt unter dem Namen „Grand Courtyard of the Gan Clan“, oder einfach in dem Haus mit den 99 1/2 Zimmern (mehr war seinerzeit allein dem Kaiser vorbehalten, tatsächlich befinden sich jedoch über 300 Zimmer auf dem Anwesen) ist heute das Nanjing Folk Museum untergebracht. Hier haben auch zahlreiche Meister*innen ihre Werkstätten und demonstrieren Besucher*innen ihr traditionelles Kunsthandwerk: Scherenschnitt, Reiskorn-Kalligrafie, Winddrachen in sämtlichen Größen – alles handgefertigt!
Besonders lange haben wir uns in der Werkstatt von Herrn CAO Zhen Rong aufgehalten, der Frühlingsfest-Laternen herstellt, darunter trabende Pferde in Kleinkind-Größe, Dackel mit Ringelschwanz und farbenfrohe Hähne mit aufgeplusterter Brust.
Während wir die bunte Laternenpracht bewundern durften, klebte und zwirbelte er vor unseren Augen eine pinke Lotosblume aus Krepppapier, grünen Plastikhalmen und Glitzerstrass zusammen, die er uns am Ende als Geschenk mit auf den Weg gab. Da die Lotosblüte symbolisch für harmonische Verbundenheit in Beziehung und Familie steht (und für die Vagina), hängt sie seitdem über dem Küchentisch in unserer kleinen Nanjing-WG und tut ihr bestes. Eva und ich haben jedenfalls trotz (eingebildeter) Verfallserscheinungen nach wie vor unseren Spaß und sind immer wieder froh, diese aufregende Reise gemeinsam zu bestreiten.
Eine Laterne die mindestens genauso beliebt ist wie die Lotosblume, ist die des weißen Hasen mit den roten Augen. Dabei handelt es sich um den Hasen im Mond, der in einem großen Mörser Unsterblichkeit verleihende Kräuter für seine Gefährtin, die Mondgöttin stampft oder aber, in anderen Erzählungen, chinesische Medizin, die er den Menschen bringt. So haben wir uns jetzt mit zähneverklebendem „White Rabbit“ eingedeckt, ein äußerst hartes Sahnekaramell und kauen fleißig ein Bonbon nach dem anderen, in der Hoffnung, das Mond-Häschen möge unser Schmatzen erhören und ein bisschen heilbringende Medizin vorbei bringen. Da geht’s einem doch gleich etwas besser …
© Eva Schönle
18. November 2018, 11:16
Die letzten Tage sind nur so an uns vorbei geflogen! Shanghai erstrahlt vor allem in der Nacht, wie ein ewiges Feuerwerk, das ganze Landschaften aus Licht erzeugt. (Nirgendwo werden Gebäude so gut eingeleuchtet wie in China!) Tagsüber schwebt über allem eine undurchdringlich düster-leuchtende Nebelglocke – wie im Cyberpunk. Wiedersprüche existieren direkt nebeneinander: Sozialistischer Brutalismus neben hypermodernen Prestige-Wolkenkratzern, stickige Hinterhof-Märkte mit verwinkelten Gässchen neben hochgelegenen Fußgänger-Straßen die über dem Verkehr schweben, ausgestorbene Luxus-Einkaufszentren neben übervollen U-Bahn-Stationen, flimmernde Bewegt-Bild Billboards neben funktionslosen Telefonzellen…
Da vor der Reise unser Warmwassererhitzer durchgerostet ist und Reparaturarbeiten ins Haus standen, freuten wir uns auf die Ferienwohnung, die wir in Shanghai angemietet hatten. Tatsächlich gab es bei der Bezugnahme doch einige Komplikationen, so dass wir kurz nach unserer Ankunft wieder auf der Straße saßen. Gestrandet sind wir in einer Hotel-Lobby zwei Straßen weiter, in der uns eine freundliche Hotelangestellte mit heißem Tee, Obst und Süßigkeiten versorgte. Da kein Zimmer frei war, telefonierte sie für uns in der Gegend herum, bis nach 20 Minuten ein Zimmer gefunden war (wobei die Stimmerkennung unserer Übersetzungs-App für einige Verwirrung sorgte, fragte sie für uns doch statt eines „Hostels“nach einem freien „Husband“ in der Nähe).
Die Freundlichkeit und Geduld, mit der uns planlosen Touris oft weiter geholfen wurde – egal ob wir uns verliefen, von Passant*innen bis vor die Haustür unseres Ziels gebracht oder in die richtige Bahn gesteckt wurden – werde ich vermissen. Ebenso den Luxus einer täglich frisch zubereiteten Mahlzeit im Gulou Food-Center, aber auch die schwindelerregenden Ausblicke aus dem 34. bis 68. Stock, sprechende Fahrräder, Pudel in Wollpullovern, pünktliche Züge, lässige Menschen in noch lässigeren Outfits, flexibler Straßenverkehr und die Geschwindigkeit, in der so manches einfach gemacht wird – zack zack!
© Eva Schönle
November 2018, 11:16
Wir waren endlich im Historischen Museum der kaiserlichen Examensanstalt. Dieses Museum ist eine Rekonstruktion des Gebäudes, in dem über 1300 Jahre lang Gelehrte Monate oder sogar Jahre in winzigen Zellen damit zubrachten, die klassische konfuzianische Lehre und ihr Ideal („Moral respektieren, Lernen, Fragen stellen – nach innen weise, nach außen königlich“!) zur Vorbereitung auf die Beamtenprüfung zu studieren. Dieses offizielle Selektionsverfahren betrachtete die Noten seiner (ausschließlich männlichen) Absolventen, nicht ihre Herkunft und galt damit als unparteiischstes System seiner Zeit.
Das kaiserliche Prüfungssystem wurde in Stufen unterteilt, die sich je nach Dynastie veränderten. So gab es nach der Anmeldung zur Prüfung beispielsweise sich abwechselnde Bezirks- und Provinzprüfungen in der Tang und Song Dynastie oder Schritt für Schritt abgelegte Prüfungen, von der Lehrlingsprüfung, hin zur Provinz-, Landes-, Großstadt- und Palastprüfung, während der Ming und Qing Dynastie. Die Absolventen erhielten je nach Level unterschiedliche Titel.
Die Prüfungshallen der Provinzprüfung befanden sich in den Hauptstädten, wie Beijing und Nanjing. In dieser Prüfungsphase durchlebten die Kandidaten drei Prüfungseinheiten, die neun Tage und sechs Nächte andauerten. Diejenigen, die sich dabei auszeichneten, wurden „Juren“ genannt, die sich für eine offizielle Position qualifizierten. Von hier aus konnte die Beamtenlaufbahn gestartet werden. Nur die „Juren des Jahres“ konnten an der Großstadtprüfung teilnehmen. Diejenigen, die bestanden, wurden „Gongsheng“ genannt und die Jahresbesten, die Jinshi, qualifizierten sich für die Palastprüfung. Diese letzte Prüfung wurde am königlichen Hofe vom Kaiser selbst durchgeführt und war alleine dem Ranking der Gelehrten bestimmt: Nummer eins unter den ersten Dreien: „Zhuangyuan“!
Bleibt nur die Frage offen, was mit denjenigen passiert ist, die sich für das Prüfungssystem nicht qualifizieren konnten. Wo sind die Erzählungen über das Scheitern?
Über die anhanltende Bedeutung von Chinas „Fünfter Großer Erfindung“ – nach dem Kompass, dem Schießpulver, der Papierherstellung und dem Holzschnitt – beschreibt eine abschließende Tafel: „Obwohl die kaiserliche Prüfung in der Qing Dinasty abgeschafft wurde, wird der Geist, für den sie sich einsetzte – fair zu konkurrieren und den besten Prüfling aufzunehmen, auch im modernen China nicht abgeschafft. Und bis heute bedeutet „Erfolg bei der Prüfung“ immer noch Glück und Verheißung.“
In den letzten Tagen musste ich besonders häufig an „Die Überflüssigen“ denken und das dort vorherrschende System, in der Menschen durch einen allgegenwärtigen Algorithmus nach ihrer Leistungsfähigkeit bewertet werden. Beim nächsten ReWrite werde ich das Historische Museum der kaiserlichen Examensanstalt auf jeden Fall im Hinterkopf behalten.
© Uta Hörmeyer
09. Dezember 2018, 18:12
Zwei Monate sind um und die Zeit war viel zu intensiv, als dass ich sagen könnte, dass sie schnell vergangen ist. Dabei haben wir nicht einmal alles geschafft, was wir machen wollten: Zum Beispiel einen Kurzfilm in der Uni-Mensa drehen, nach West-China fahren oder beim allmorgendlichen Qi Gong auf der Straße mitmachen.
Dafür waren wir in den alten Wasserstädten Hangzhou und Suzhou, haben mehr von Konfuzius und überhaupt etwas von Kung Fu Fan erfahren, ein altes Schattenspiel besucht, die gigantische Jangtse-Brücke besichtigt und Nanjing kennengelernt, eine Stadt, die viel größer und beeindruckender ist, als ich es mir vorgstellt habe. (Eigentlich war alles viel größer, als ich es mir vorgstellt habe).
Auf dem Rückflug habe ich die zweite Staffel von “The Amazing Mrs. Masel” gebinge-watched und auf einmal sind wir in Frankfurt, Freitag Abend, in der Flughafenhalle mit den Passagieren des letzten Businessflugs zurück nach Berlin. Plötzlich wünsche ich mir, statt des Flugzeugs den Landweg zurück genommen zu haben – mehr Zeit, um wieder anzukommen.
© Eva Schönle
Ein Erfahrungsbericht von Uta Hörmeyer